Parteienwald

Auf dürrem Zweig steht die Wahrheit,
geschüttelt von rauem Wind,
den Zeigefinger hochgestreckt. –
Wie ein Wipfel, der den Unterschied
zwischen oben und unten nie vergisst.
Obwohl dieser Akt der mutigste ist,
dreht nur der Dachs mit dem Hörgerät
den Kopf nicht zu den Illusionen,
die vortäuschen, Sonnenblumen zu sein.
Vielleicht, weil alte Dachse gutes Gewissen
nicht im Reformhaus kaufen können,
genauso wenig wie Maulwürfe, die unter Tage noch immer
Lieder der Arbeiterbewegung singen.
„Seit’ an Seit’ … fühlen wir, es muss gelingen“,
schmettern sie
gemeinsam mit Heuchelei, die ihre gepflegte Frisur
unter weißem Helm verbirgt
und hofft, dass die im Dunklen nicht bemerken,
auf wessen Seite die Genossen sich längst geschlagen haben.
Lippenbekenntnis kämpft für Freiheit der Waldbesitzer,
erklärt dem Wild, „Eure Jäger sind eure Heger!“
Vergibt Steuersünden,
lockt Hörgeräteträger und Maulwürfe mit liberaler Speisekarte:
„Wer uns wählt, darf fressen, was ihm schmeckt!“
Sonnenblumen diskutieren inzwischen, ob es ein Fehler war,
Füchse zu Körnerfressern erziehen zu wollen.
Mit Weißwurst lockt Scheinheiligkeit und spendiert dazu
schäumendes Traditionsgebräu. Dompfaffen nicken wohlgefällig,
doch auf deren Pfiffe hört längst nicht mehr jede fromme Amsel.
„Kanarienvögel raus aus unserem Wald!“, skandiert Verächtlichmachung –
am lautesten, wo sich keine im Gezweig niedergelassen haben.
Orientierungslos irrlichtert Jägerlatein, behauptet an jedem Ort:
„Hier ist die Mitte!“

© Christiane Schwarze

Erschienen in der Anthologie Lyrik der Gegenwart Band | 79 im Rahmen des Feldkircher Lyrikpreises 2018 (Auswahl der besten Werke) Edition Art Science | St. Wolfgang | Österreich, ISBN 978-3-902864-87-1

Parlament der Reiher

Rücken aschgrau mit weißen Bändern.
Weithin erschallt „kräik“.

Schwarze Haube, rote Augen.
„Qua“ – die Stimme erinnert an Raben.

Selten zu hören, hoch und kurz „krrek“.
Kopf und Hals seitlich rotbraun, auf dem Hals schwarze Längsstreifen.

Nur dann und wann ein heiseres „Rha“.
Weiße Federn, tiefschwarze Beine, gelbe Füße.

Gedrungene Gestalt mit kurzem, dickem Hals.
Gefieder scheckige Brauntöne.
Nicht zu überhören die dumpfen Lockrufe „buubmb, buubmb“.

Jede Partei betont die Unterschiede.
Leugnet, zur Ordnung der Schreitvögel zu gehören,
deren Gemeinsamkeit ein dolchförmiger Schnabel ist.

Fische wählen den Schlund, der ihnen reichlich vorverdaute Nahrung verspricht.
Werden sie später behaupten, das Staksen mit langen Beinen, gesenktem Kopf und S-förmig gebogenem Hals nicht bemerkt zu haben?
Oder erklären: „Es war gut, dass sie Insekten fraßen. Und Molche, Frösche, Schlangen sind schließlich Molche, Frösche, Schlangen!“
Silbrige Schwärme stürzen sich auf ausgewürgte Artgenossen.
Die Luft erfüllt von Krächzen:
„In diesem Teich können Fische frei wählen!“

© Christiane Schwarze

Erschienen in der Anthologie Lyrik der Gegenwart Band | 79 im Rahmen des Feldkircher Lyrikpreises 2018 (Auswahl der besten Werke) Edition Art Science | St. Wolfgang | Österreich, ISBN 978-3-902864-87-1

 

Die Nacht fröstelt

 

Die Nacht fröstelt unter löchriger Wolkendecke,
Rinnsteinfugen husten grau-grünliches Moos.
Einer versucht mit Schwamm und Scheuersand den Himmel zu reinigen.
Schwarz kreisen graffitibesprühte Sterne.

 

 

 

In steinernem Haus eingeschlossen,
ewiges Leuchten der Wohnzimmerlampe.
Schatten plündern einen Schnapsladen,
fließen betrunken über angststarre Glasfassaden.

 

 

 

Kleine Schritte fliehen gegen den Uhrzeigersinn.
Die Dämmerung könnte ein Anfang sein.

 

 

 

© Christiane Schwarze

 

Erschienen in der Anthologie Wenn wir den Atem anhalten

Ausgewählte Werke. Im Rahmen des Ulrich-Grasnick-Lyrikpreises 2017
Quintus-Verlag | Berlin-Brandenburg, ISBN 978-3-947215-37-9