O Z E L O T T A

Sie war zurückgekehrt in die Nacht, lag entspannt in einer Astgabel in einer der Baumkronen im weitläufigen Park der Villa, ließ alle Viere hängen. Weit weg der Morgen, an dem alles begonnen hatte.

Lotta war, wie immer, eine halbe Stunde früher als die anderen aufgestanden, denn sie liebte die Stille im Haus, wenn sie den Morgen und die aufgehende Sonne begrüßte. Bei geöffnetem Küchenfenster richtete  sie das Frühstück. Dann hörte sie, wie in den oberen Gefilden das Gezeter ums Badezimmer begann. Der Sieger war meistens ihr Mann und die Kinder mussten warten. Seit langem schon war geplant, in den Kellerräumen eine Dusche und eine separate Toilette einzubauen. Da ihr Mann beruflich sehr eingespannt war, aber alles selber machen wollte, um das Geld für die Handwerker zu sparen, blieb es beim frühmorgendlichen Stress mit dem gefliesten Zimmer.

Sie öffnete die Vordertür um die Zeitung und die Post aus dem Briefkasten zu holen. Der Nachbar drangsalierte wieder seinen Rasenmäher und ihre Seele. Er konnte ihr die Laune für den ganzen Tag verderben und sie bekam Mordgelüste. Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Vielleicht sollte sie ihn mal zum Kaffee und einem leckeren Stück Kuchen einladen. Mit ein wenig Arsen angereichert würde er besonders gut schmecken.
Sie ging zurück ins Haus und schlug die Tür mit einem lauten Knall zu.

Am Frühstückstisch, wo sich inzwischen alle eingefunden hatten, herrschte für einige Sekunden Stille, bevor die Debatte: “was nehmen wir zum Zelten mit?“ zwischen ihrem Sohn und ihrer Tochter, erneut begann. Ihr Mann wartete ungeduldig auf die Zeitung. Als er nach ihr griff, fiel ihr Blick auf seinen rechten Handrücken. Das Muttermal war dunkler geworden. Sie wollte es ansprechen, aber er war schon völlig in die Börsennachrichten versunken. Seit langem hatte sie ihre Versuche, ihn vom Zeitung lesen während des Frühstücks abzuhalten, aufgegeben.

Bereits am Nachmittag würden ihre beiden Kinder, mit ihren Freunden, zu ihrem Wochenendvergnügen aufbrechen. Es war Freitag und sie wollte sich auf die kommenden zwei Tage, mit ihrem Mann, freuen. Sie schaute flüchtig auf die Absender der Briefe. Ein Kuvert in gelb fiel ihr auf. Es enthielt eine Einladung zu einem „Sommerball in Maskerade“, gerichtet an ihren Mann „nebst Gattin“. Eine nette Idee, dachte sie, ungewöhnlich im Sommer, aber warum nicht.
Der Ball sollte am nächsten Tag stattfinden. „Schau mal“ „sagte sie, wir sind morgen zu einem Kostümball eingeladen“. Er schaute sie völlig irritiert an.   
„Lotta, du weißt doch, dass ich dieses Wochenende nicht zu Hause bin, sondern zu einem Lehrgang fahren muss“, belehrte er sie. Wie durch Watte, vernahm sie seine Stimme.  „Das hatte ich dir doch letzte Woche bereits mitgeteilt!“ ergänzte er.  Er müsse bereits heute Abend anreisen. Sie fühlte sich, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen, rang nach Atem, wollte etwas sagen, brachte aber keinen Laut heraus. Hatte sie, wie er es ihr immer wieder genüsslich unter Nase riebe, wieder was vergessen?
Nein! Sie war sich sicher. Er hatte ihr nichts gesagt.

Sie benötigte frische Luft. Nach dem Frühstück ließ sie daher alles stehen und liegen und fuhr in die Stadt. Es war herrliches Wetter. Ein ausgiebiger Schaufensterbummel und ein Capuccino in diesem gemütlichen Terrassencafe am Markt, würden ihr gut tun. Vielleicht hatte ihre Freundin Lust mitzukommen?
Während sie vergeblich versuchte sie auf dem Handy zu erreichen, entdeckte sie auf der anderen Straßenseite ein neues Geschäft: „Maskerade“ las sie.
Neugierig überquerte sie die Straße und betrat den hell beleuchteten Laden. Er war größer als es von draußen den Anschein hatte. Sie schlich herum, es gab viel zu entdecken.
Von der Decke glotzen Masken auf sie herab. Einige grinsten, einige waren ernst und andere hässlich. Unter den Masken hingen Puppen mit den dazugehörenden Kostümen. Im Raum verteilt standen riesige Etageren. Dort waren Schuhe ausgestellt. Und in Glasvitrinen an den Wänden befanden sich Schmuckstücke und andere Accessoires.
Es gab großzügige Nischen mit viel Platz zur Anprobe. Spiegel umringten die Maskierten und auf Stühlen oder Bänken konnte das Sitzen mit den zum Teil ausladenden Hinterteilen geübt werden.                                
In einer Ecke leuchtete etwas Gelbes, zog sie an. Als sie näher kam, entdeckte sie ein Ozelotkostüm aus einem weichen und leichten Material. Sie wusste sofort, das war ihr Kostüm und sie schenkte der Maske ein Lächeln.
Noch immer hatte sie eine schlanke, drahtige Figur, auf die sie sehr stolz war. Wie eine zweite Haut umschloss das Kostüm ihren Körper. Sie bewunderte das glänzende Fell. Es war hellgelb mit schwarzen, ring- bis rosettenartigen Flecken. Am Hals und an den Schultern waren Streifen und an den Beinen Punkte. Unterseite und Kinn des Kostüms waren weiß. Die schwarzen Ohren hatten große, weiße Punkte auf der Rückseite. Ihre Energie kehrte zurück, und plötzlich verspürte sie große Lust, zu diesem Ball zu gehen.

Spät kam sie nach Hause. Alle waren schon fort und das war gut so. Im Haus herrschte das übliche Chaos. Wütend begann sie aufzuräumen. Endlich saß sie mit einem Glas Rotwein auf der Terrasse, genoss den Duft der Rosen, die in diesem Jahr üppig blühten. Plötzlich fiel ihr ein, dass ihre Freundin zu einem Schweigewochenende in ein Kloster fahren wollte. Schade! Sie wäre vielleicht mit ihr zu diesem Ball gegangen.

Wo war die Einladung?
Sie fing an zu suchen und fand sie weder im Poststapel auf der Kommode im Flur, noch auf dem Schreibtisch ihres Mannes. Merkwürdig, dachte sie. Ob er sie in Eile mit anderen Unterlagen in seine Aktentasche gesteckt hatte?
An die Adresse erinnerte sie sich. Sie kannte die Villa, die in einem öffentlichen Park stand. Es würde ihr sicher gelingen, sich auch ohne die Einladung Zutritt zum Ball zu verschaffen.
In der Nacht träumte sie von wilden Katzenkämpfen und den Gesichtern ihres Mannes und ihrer Freundin, die dazwischen immer wieder auftauchten.

Endlich war Samstag. Mit den nötigen Klamotten und Schminkutensilien  fuhr sie zu ihrer kleinen Hütte am Waldrand. Das dazugehörige Grundstück war nicht viel größer als eine Gefängniszelle, aber es war ein schönes Plätzchen zum Entspannen. Leider hatte sie wenig Zeit, sich dort aufzuhalten. Irgendwas war immer mit der Familie. Es sah noch wilder aus als das letzte Mal.
Sie riss die Tür und die Fenster auf, um die vermoderte Luft hinaus zu lassen. Sie nahm den Liegestuhl, stellte ihn vor die Tür, setzte sich hinein, um sich einige Minuten innerlich auf das Fest einzustimmen. Die erhoffte innere Ruhe und Gelassenheit wollte sich aber nicht einstellen.
Im Inneren der Hütte gab es einen großen Spiegel. Ein Erbstück ihrer
Urgroßmutter. Sie konnte sich nicht von diesem Spiegel trennen. Zuhause durfte sie ihn nicht aufhängen, sie fanden ihn zu groß und zu altmodisch.   
Sie schlüpfte in ihr Ozelotkostüm und setzte ihre Maske auf, drehte und wendete sich vor dem Spiegel und was sie sah, gefiel ihr: Sie war bereit für‘s große Fest!

Sie parkte abseits an der Parkmauer. In dem allseitigen Trubel gelang es ihr, sich katzenhaft in die Gesellschaft einzuschleichen. Sie nahm sich ein Glas Sekt von dem Tablett des Dieners und schaute dem Treiben der Masken zu. Die bewundernde Blicke auf ihr Kostüm und ihr leichtfüßiges Tanzen mit wechselnden Partnern, die sie spielerisch außer Atem brachte, genoss sie.
Nach einigen Tänzen, ließ sie sich an der Bar einen Fruchtsaft mixen, stellte sich in eine der offenen Terrassentüren, schaute den Tanzenden zu. Cäsar und Kleopatra tanzten vor ihr vorbei.
Sie schüttelte den Kopf. Cäsar hatte auf dem rechten Handrücken ein Muttermal in der Größe eines Fünf-Cent Stückes. Und unter Kleopatras schwarzer Perücke schaute ein langes dünnes, farbiges Zöpfchen hervor, das ihr bekannt vorkam. Die Beiden strahlten übers ganze Gesicht, flüsterten sich was ins Ohr, kicherten albern herum und schienen innig vertraut.

Ihre Jagdleidenschaft war geweckt. Sie musste näher an sie heran kommen. John Wayne kam auf sie zu. Sie schnappte sich ihn, zog ihn auf die Tanzfläche. Die Musik setzte ein zu einem Paso Doble. Nicht gerade der geeignete Tanz für ihn, aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Kurzerhand übernahm sie die Führung und zerrte John Wayne über die Tanzfläche. Das Pärchen umtanzend wusste sie alles. Kleopatra war ihre Freundin! Sie war zu dick geschminkt und das Kostüm war nicht vorteilhaft für ihre ausladenden Hüften.
Das also war das Schweigewochenende!
Cäsar, Ihr Göttergatte, machte offensichtlich einen praktischen Lehrgang in römischer Geschichte: Er schien sich sehr wohl zu fühlen in seiner Tunika, einem festlichen Unterkleid mit ärmellosem, offenem Übergewand, gehalten von einem Gürtel und einem Lorbeerkranz auf dem Kopf. Sie fand ihn albern, eine lächerliche Figur!

Sie verzog sich in den Garten und legte sich unter einen großen Busch. Die Lust an dieser Maskerade war ihr vergangen. Schon wollte sie ihr Kostüm ablegen, als sie spürte, dass sie damit ihre Lebendigkeit, ihren Zorn, ihre Wut hergab. Nein!

Langsam und mit geschmeidigen Bewegungen schritt sie dem Wald entgegen. Seine Geräusche und der Geruch taten ihr gut und sie genoss den weichen Boden unter ihren Tatzen, das Knacken im Unterholz. In ihr flüsterte eine Stimme: “Ozelotta ist eine Einzelgängerin und in erster Linie nachtaktiv. Obwohl sie eine gute Kletterin ist, jagt sie vorwiegend am Boden. Zu ihren Beutetieren zählen weibliche Schlangen und männliche Schweine. Ozelote sind extrem reviertreu“.
Mit katzenhafter Leichtigkeit erklomm sie einen Baum und thronte in seiner Krone, nahm Abschied von der Musik, dem Gelächter, den Lichtern.

Den Weg nach Hause nahm sie durch den Wald. Sie ließ sie sich viel Zeit und genoss ihre Energie, ihre Kraft, ihre Macht. Ab und zu hielt sie inne, genoss die Warnschreie der Beutetiere, und die Angst die sie vor ihr hatten.
Während sie durch die Straßen, an den Häusern entlang schlich, sah sie den Nachbarn vor sich, der sie mit seinen lärmenden Gartengeräten schikanierte und auf Schritt und Tritt beobachtete. Sie würde ihm einen Besuch abstatten.
Sie durchquerte seinen Nutzgarten, erblickte schnell das offene Fenster. Sie stellte sich auf die Hinterbeine, legte ihre Tatzen auf die Fensterbank und schaute hinein. Der Nachbar lag schnarchend im Bett.
Plötzlich machte er Licht, erhob sich und blickte zum Fenster. Sie fauchte ihn laut an und zeigte ihm Zähne und Krallen. Er rang nach Atem. Sie sah den Schrecken in seinen Augen. Dann fiel er tonlos zurück aufs Kopfkissen und blieb regungslos liegen. Sie tippte auf Herzversagen.
   
Noch war es dunkel. Sie streunte durch die Gärten und Gassen, blieb vor einem  Friseurgeschäft stehen. Die Friseurin hatte ihr vor einigen Jahren falsche Mittel in die Haare geschmiert, so dass sie ihr ausfielen, ein scheußlicher Ausschlag sich auf  ihrem Kopf breit machte, über ihren Hals bis zu den Schultern zog. . Sie musste sich eine Glatze scheren lassen, damit die Ärzte sie behandeln konnten. Es dauerte Monate, bis der Ausschlag endlich verschwunden war. Anschließend musste sie noch lange ein Kopftuch tragen, bis die Haare wieder gewachsen waren.

Dieser Laden war kürzlich umgebaut und modernisiert worden. Sie kletterte durch das nur angelehnte Toilettenfenster, glitt bis zum Kundenbereich, der jetzt großzügig und luxuriös gestaltet war. Der neue Stil gefiel ihr, aber es fehlte der letzte Schliff.
Sie sprang auf die oberste Glasplatte eines freistehenden Glasregals. Der Turm unter ihr, wackelte, fiel um und zerbarst. Die daraufstehenden Glasköpfe fielen herunter und verteilten sich im Raum. Die Perücken, Toupets und Haarteile zerfetzte sie samt Styroporköpfe. Ihre Tatzen krallten sich in die neuen Ledersessel, auch die Spiegel erhielten einen Krallenschliff. Zum Schluss hob sie ihren Schwanz und markierte die Fototapete. Zufrieden und stolz verließ sie ihr Gesamtkunstwerk.

Hundegebell riss sie aus ihrer Verzückung, und sie merkte, dass es langsam hell wurde. Sie schlich durch das Gebüsch der Nachbarn bis sie zu ihrem Haus kam und ließ sich in dem dicht bewachsenen Gebüsch nieder. Von dort hatte sie eine gute Übersicht und konnte alles hören.
Erst als sie ihren alten Namen Lotta hörte, wachte sie wieder auf. Anscheinend wurde sie vermisst. Die Kinder riefen lauthals nach ihr und liefen wie aufgescheuchte Hühner in Haus und Garten herum.

Zwei Tage war sie jetzt verschwunden. Am Abend, ihr Mann saß mit ihrer Freundin im Garten und sie hörte, wie er ihr erzählte, dass er eine Vermisstenanzeige aufgegeben habe. Die Freundin war nervös, immer wieder habe sie nachts eine große Katze auf dem Fenstersims ihres Schlafzimmers sitzen gesehen, grinsend, fauchend. Er meinte, sie würde sicher nur träumen, solle es nicht so wichtig nehmen.

Ozelotta war bereit für den letzten Akt.

Es war Neumond. Ozelotta kam über die Veranda, stellte sich in die offene Tür, die in die Küche führte und beobachte, wie ihr Mann, am Küchentisch sitzend, seine Lieblingspizza verschlang.

Er spürte die Energie in seinem Rücken, drehte sich um und erstarrte. Mit vor Angst aufgerissenen Augen verharrte er bewegungslos in seinem Stuhl. Ihre Blicke trafen sich und hielten sich für einige Sekunden umklammert. Sie wünschte, er würde sie erkennen. Als sie sah, dass er nicht wusste, was er tun sollte, fauchte sie ihn an. Er sprang auf und versuchte, rückwärts gehend, ihr durch die Tür in den Flur zu entkommen. Er stolperte und verlor das Gleichgewicht. Mit wild gestikulierenden Armen versuchte er sich aufrecht zu halten.
Beim Fallen schlug er mit dem Kopf auf den Herd. Sie sprang ihn an und er landete auf dem Rücken. Nun saß sie auf seinem Brustkorb und drückte, mit einer ihrer Tatzen, auf seinen Kehlkopf.
Er rang nach Luft und versuchte mit Händen und Armen sein Gesicht zu schützen. Es gelang ihm nicht. Sie war schneller und zog ihm ihre Krallen genüsslich durchs Gesicht. Er schrie vor Schmerzen und versuchte, halb benommen wie er war, sie wegzustoßen. Sie parierte sofort, und tobte sich aus.
Er hatte eindeutig die schlechtere Position.
Sie spielte eine ganze Weile mit ihm, ohrfeigte ihn, dass er nach Luft rang. Immer wenn er glaubte, sich erheben zu können, sprang sie ihn an, haute ihm die Tatzen ins Fleisch oder peitschte ihm ihren Schwanz in die Lenden. Er blutete, sein Atem ging keuchend.

Als sie merkte, dass er nicht mehr atmete, stieg sie von ihm ab und verschwand in der Nacht.

© Ursula Engel   


Teekannen-Traum    

 

Die Nacht verabschiedet sich. Und der Tag kommt. Allmählich wird es hell. Ich stehe im oberen Regal und sehe, wenn ich durch das große Fenster schaue, tanzende Schneeflocken. Die Schneedecke wird dicker und dicker. Es ist kalt, es ist immer kalt in diesem Laden. In den Regalen gegenüber ruhen 300 köstliche Teesorten in Dosen, die darauf warten ihre Düfte zu entfalten.

Die Tür wird aufgeschlossen, der Frost kommt herein und mit ihm die Ladenbesitzerin. Hektisch wuselt sie herum. Sie hat noch keinen Tee gekocht und gleich werden Kunden kommen, um die angekündigten drei neuen Teesorten zu kosten. Hier werden sie verwöhnt von klassischer Musik und dem Duft nach
Orangen, Zitronen, Vanille und Caramel. Und über allem steht der krönende Duft von O’Conners Cream.

Die Gehetzten kommen, gönnen sich eine Pause bei einer Tasse Tee und einem gemütlichen Schwatz, verlassen nach ihrem Einkauf mit einem Lächeln auf dem Gesicht den Laden.
Also, wenn Sie mich fragen: Ich bevorzuge die Darjeeling’s mit ihren Geheimnissen.
Sie sollten wissen, ich bin eine Designer-Teekanne. Mein Körper ist aus silbergrauen Metall, ergänzt durch Glas. Ich träume, dass Sonnenstrahlen durch das Fenster in die Küche fallen und die schwimmenden Teeblätter in meinem Bauch in allen Facetten von Gelb, Grün und Rot erstrahlen.

Ich möchte jetzt endlich ein ruhiges zu Hause. Ab heute bin ich bereit. Ich darf gekauft werden. Bisher habe ich mich gesträubt. Bewundert haben mich schon viele, aber nach einem entsetzen Blick auf das Preisschild, griffen sie in das Regal unter mir.
Ich gestehe, ich bin sehr wählerisch. Familie – nein danke!
In deren Chaos fegt mich am Ende noch einer vom Tisch...
Oder, wenn ich mir vorstelle, stundenlang  in so einem alten
Holzküchenschrank zwischen anderen Kannen eingezwängt zu sein... Vielleicht auch noch ungesehen, weil Gardinchen vor den Scheiben hängen. Nein, nein, nein..
Ich gehöre in einen futuristisch eingerichteten Single-Haushalt, mit viel Platz in einem Glasschrank oder dampfend, mit gefülltem Bauch auf einen edlen Glastisch, mit Ausblick über die City.
Einverstanden wäre ich auch mit einer eleganten Wohnung, in der sich die Lady des Hauses auf einer Récamiere räkelt und die englische Kurzhaar eingerollt zu ihren Füßen liegt.
Drum herum gefüllte Bücherregale und ein Tisch auf dem ich throne, während der wärmende Göttertrank in mir bereit ist, seine entspannende Wirkung auf die in eine Kaschmirdecke eingehüllte Madam zu übertragen.

Plötzlich starren mich zwei Augenpaare an.
 „Ja so eine, die da oben, das Designer-Modell, so eine suche ich.“
Unter mir steht ein Mann, 1,80 Meter lang, schlaksig, im dunkelbraunen Einreiher mit passendem Mantel und Schal, Typ Banker.
Mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht holt mich die Besitzerin aus dem Regal. Wahrscheinlich ist sie froh, mich endlich verkauft zu haben. Wie gewünscht, verpackt sie mich in Geschenkpapier.

Ich finde mich wieder auf einem Geschenktisch und was sehe ich?
Zwei Kannen meiner Art! Glotzen mich an! Unverschämtheit!
die kommen bestimmt aus China, das Glas ist sicher nicht echt...

Ich  -  bin  -  einmalig

© Ursula Engel